Trainingsreise nach Cebu 2007

 

Im Oktober 2007 erfüllte ich mir den lang gehegten Wunsch, einmal nach Cebu zu reisen, um dort philippinische Kampfkunst zu trainieren. Nach vielen Jahren des Kali Trainings in Deutschland trug ich mich schon lange mit dem Gedanken, im Mutterland des Arnis, Eskrima und Kali diese Künste vor Ort zu üben. Im Hotel in Cebu angekommen kontaktierte ich zunächst verschiedene Arnis Meister per Telefon, was überraschend einfach und problemlos möglich war. Darunter befanden sich bekannte Meister wie Nick Elizar vom Balintawak Arnis, Ondo Carburnay vom Lapunti Arnis de Abanico und Cacoy Canete vom Doce Pares Eskrima. Meister Nick Elizar kam noch am selben Tag in mein Hotel, und so konnten wir nach einem kurzen Gespräch bereits für den nächsten Morgen einen Trainingstermin ausmachen. Von diesem Zeitpunkt an trainierte ich bis zu meinem Rückflug täglich Balintawak Arnis bei ihm und seinem Sohn, Norman Elizar.

 

Balintawak

Das Balintawak erhielt seinen Namen nach einer kleinen Straße in Cebu, wo Großmeister (GM) Venancio „Anciong“ Bacon (geb.1912) seit den 1950er Jahren seine Interpretation des Arnis unterrichtete. GM Bacon war ein Schüler der Saavedra’s gewesen, einer Familie von berühmten Eskrima Kämpfern. Das Balintawak Arnis ist ein sehr effektiver, direkter und kämpferischer Stil. GM Bacon selbst soll mehr als hundert Stockkämpfe bestritten und alle gewonnen haben. Nicht selten endeten damals solche Duelle mit schweren Verletzungen, manchmal sogar mit dem Tod eines Kämpfers. GM Bacon war einer der bekanntesten und auch gefürchtetsten Eskrima Kämpfer seiner Zeit.

Trainiert wird im Balintawak vor allem mit dem Einzelstock. Dieser Stil unterscheidet sich von anderen philippinischen Stilen, da man fast ausschließlich in der Nahdistanz arbeitet. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass auf die Verteidigungsfähigkeiten des Schülers ein hoher Wert gelegt wird. Während andere Stile sich auf den Angriff spezialisieren, geht man im Balintawak davon aus, dass der potentielle Gegner ein fähiger Kämpfer ist, und dass erst dann, wenn man sich gut schützen kann, die Art und Weise des Angriffs gelehrt werden soll. Eine weitere Besonderheit ist, dass das Boxen einen großen Einfluss auf das Balintawak hatte. Nicht nur die Schrittarbeit ist ähnlich, sondern auch die Haltung und der Einsatz der leeren und der Waffenhand.

Kern der Lehre des Balintawak ist eine Übungsform, die „Agak“ genannt wird. In diesem Drill lernt der Schüler zunächst, die zwölf Grundschläge des Balintawak abzuwehren und zu kontern. Zuerst attackiert der Lehrer seinen Schüler mit langsamen Angriffen in fester Reihenfolge, dann jedoch wird das Tempo erhöht und die Reihenfolge der Angriffe beliebig variiert.

Wer diese Übung gemeistert hat, wird in den so genannten Groupings unterrichtet. Groupings sind Technikgruppen, die jeweils ein anderes Thema behandeln wie etwa den Einsatz von Stichen, Butt-Techniken, oder Abanicos. Diese Techniken werden in das Agak integriert. Schließlich gelangt der Schüler zu der Stufe, in der der freie Austausch von Techniken geübt werden kann. Hier analysiert man in freier Weise die Techniken, die man gelernt hat, und ersinnt Möglichkeiten für Konter und Gegenkonter. Diese Übung wird „Sara Sana“ oder auch „Cuentada“ genannt.

 

 

Nick Elizar

Meister Nick Elizar wurde 1948 in Cebu geboren. In seiner Jugend trainierte er Boxen, später kamen noch Karate und Selbstverteidigung (Combat Judo) hinzu. Durch seinen Jugendfreund Bobby Taboada kam er dann 1972 zum Balintawak Self Defense Club, der damals von Jose Villasin als Präsident des Clubs geleitet wurde. Vize-Präsident des Clubs war Teofilo Velez, und Venancio „Anciong“ Bacon, der Gründer des Balintawak Arnis, stand dem Club als Großmeister vor.

In langen Jahren des Trainings lernte Nick Elizar bei den Größen des Balintawak, vor allem bei Teofilo und Chito Velez. Nicht selten musste er seine Fertigkeiten mit dem Stock in realen Kampfsituationen unter Beweis stellen. Als Lehrer seines eigenen Clubs wurde er des Öfteren von anderen Eskrimadores „getestet“. Sein Balintawak Training erwies sich auch in diesen realen Kämpfen als sehr effektiv.

Die Arbeit im Security-Bereich und viele Jahre des Lehrens vertieften seine Einsichten in den Kampf mit und ohne Waffe. Um die Effizienz seines Stils noch zu steigern, modifizierte Meister Elizar das ursprüngliche Balintawak in einigen Punkten und integrierte verschiedene Übungen wie etwa waffenlose Anwendungen, um seinen Stil zu vervollständigen. Außerdem entwickelte er ein gut strukturiertes Lehrgebäude, in dem der Schüler von Punkt A nach Punkt B,C, usw. in logischen Schritten geführt wird. 2003 gründete GM Elizar schließlich seine eigene Eskrima Organisation, den World Nickelstick Balintawak Eskrima Club.

 

 

Training

Mein Training im Balintawak fand jeden Morgen unter freiem Himmel im Ayala Business Park statt und dauerte von den frühen Morgenstunden meist bis Mittags. Da in den Visayas im Oktober, November und selbst im Dezember Temperaturen bis 30° Grad bei recht hoher Luftfeuchtigkeit nicht selten sind, war das Training immer eine schweißtreibende Angelegenheit. Trotz der Hitze wurde sehr gewissenhaft und konzentriert geübt.

Das Balintawak ein sehr anspruchsvolles System. Es hat den Ruf, für blutige Anfänger ungeeignet zu sein. Nur wer schon gewisse Grundlagen im Eskrima hat, sollte sich an diesem Stil versuchen. Außerdem gibt es im Balintawak die Tradition, dass der Lehrer oft nur einen oder wenige Schüler gleichzeitig unterrichtet. Der persönliche Unterricht durch den Meister garantiert die Qualität der Lehre. Trainiert wird, indem der Lehrer den Schüler durch das Agak und die Groupings führt, ihn mit Techniken „füttert“ und dabei so angreift, dass der Schüler unter ständigem Druck steht. Verbessern sich mit der Zeit die Fähigkeiten des Schülers, wird der Druck durch den Lehrer sofort erhöht, sodass der Schüler ständig an seiner oberen Leistungsgrenze gehalten wird. Dies ist für den Schüler sehr anstrengend, doch es ist auch die schnellste und sicherste Methode, gute Fertigkeiten mit dem Stock zu entwickeln. Nicht selten trifft dabei auch der Stock des Lehrers den Körper seines Schülers, sodass „Sakit“ (Schmerz) eines der ersten Wörter wurde, welches ich lernte.

Neben dem Privattraining bei GM Elizar lernte ich auch bei dessen Sohn, Chief Instructor Norman Elizar. Norman Elizar hatte das seltene Glück, bei den größten Balintawak Lehrern unterrichtet zu werden, die es heute gibt. Dazu gehören neben seinem Vater dessen guter Freund Bobby Taboada, der in den USA lebt und von dort aus seine eigene Balintawak Organisation führt, Bobby Tabimina, einen der ehemals besten Kämpfer des Stils, GM Chito Velez, und andere. So konnte Norman Elizar von den Besten der Besten lernen und ihre Lehren in sein Balintawak einfließen lassen.

Nach einigen Wochen des Trainings erschloss sich auch mir eine seltene Gelegenheit, als GM Nick erklärte, dass sein Freund GM Bobby Taboada nach Cebu kommen werde, um hier seine Familie und Freunde zu besuchen. Da ich GM Taboada schon auf dem zweiten internationalen FMA-Festival 2004 in Dortmund kennen gelernt hatte, freute ich mich sehr, ihn hier wieder zu sehen. In den folgenden Wochen kam GM Taboada regelmäßig zu unserem Training und lehrte mit GM Nick’s Einverständnis seine Form des Balintawak. Durch diesen glücklichen Umstand hatte ich Gelegenheit, die teils unterschiedlichen Techniken dieser beiden Großmeister zu lernen.

Doch nicht nur das Training war faszinierend, sondern auch die freundliche Offenheit dieser beiden Männer beeindruckte mich tief. Oft saßen wir abends draußen bei GM Nicks Haus zusammen und dann erzählten die beiden Meister von früher. Dabei wurde viel gelacht und oft noch mehr gesungen. Da GM Taboada in Cebu viele befreundete Meister besuchte, hatte auch ich die Gelegenheit, einige dieser Männer kennen zu lernen. Darunter befand sich zum Beispiel Johnny Chiuten, einer der bekanntesten Kampfkünstler der Philippinen, der ein altes Mitglied des Balintawak und Kungfu-Meister im Hung Gar Stil ist.

Leider hat auch die schönste Trainingsreise einmal ein Ende, und so verabschiedete ich mich schließlich von vielen neuen Freunden und Lehrern des Arnis, doch nicht ohne das feste Versprechen, möglichst bald wieder zu kommen.